Die Seetanghäuser von Læsø erzählen auch eine Geschichte über starke Frauen

Læsø investiert Millionen dänische Kronen, um die Erinnerung daran lebendig zu halten, wie einst Frauen den Alltag auf der Insel bestimmten – und an eine Gemeinschaft, der es auf einzigartige Weise gelang, sich an zahlreiche Herausforderungen anzupassen

Die Seetanghäuser von Læsø

Ein lebendiges Geschichtsbuch wird rekonstruiert. Die überwiegende Mehrheit der Seetanghäuser, die noch auf Læsø stehen, hat ein neues Tangdach bekommen. Und wenn auch diese neuen Dächer so lange halten wie die ersten, die aus großen Mengen getrocknetem Seegras gefertigt wurden, müssen sie erst in mehreren hundert Jahren wieder erneuert werden.

Als Geschäftsführerin von Læsø Tangtage A/S ist Lillian Kristensen für die Verwaltung des Projekts zur Erhaltung der einzigartigen Tanghäuser auf Læsø verantwortlich. Dieses Projekt ist ausschließlich durch den Beitrag verschiedener Stiftungen der dänischen Schloss- und Kulturbehörde ermöglicht worden. Denn die Instandsetzung der heruntergekommenen Tangdachhäuser war nicht billig. In die ersten 23 Häuser fließen etwas mehr als 80 Mio. Dänische Kronen. Doch die Investition jeder einzelnen dieser Kronen hat sich gelohnt, betont Lillian Kristensen.

– Sie sind ein wichtiger Teil von Læsøs Kulturgeschichte und können nun wieder in einem zusammenhängenden kulturellen Umfeld in Gammel Østerby erlebt werden.  Die Restaurierung der Tanghäuser dient jedoch nicht nur der reinen Erneuerung der Dächer.  Vielmehr soll so die einzigartige Kulturgeschichte bewahrt werden, erzählt sie. Die Häuser sind sehr unterschiedlich und jedes für sich ist ein kleines Geschichtsbuch, das von Wohlstand oder Armut, von wechselnden Lebensbedingungen erzählt. Insgesamt verraten die Häuser viel über die Entwicklung Læsøs seit seiner Besiedlung im 12. Jahrhundert bis zum heutigen Tage.

Læsø ist weltweit der einzige Ort mit Hausdächern, die aus gezwirntem und gebundenem Seegras bestehen.

– Das ist extrem haltbar und nachhaltig. Die Dächer, die wir abnehmen, sind in der Regel 300–400 Jahre alt. Seegras ist eines der besten Baumaterialien der Welt. Es gibt keine anderen Dächer auf der Welt, die 300–400 Jahre halten, sagt sie. Sie bestehen aus natureigenen Materialien, die am Strand gesammelt und getrocknet wurden. Und nach Gebrauch kann der alte Seetang als Dünger für den Garten verwendet werden.

Laut Lillian Kristensen erzählen die Tangdächer die Geschichte einer matriarchalischen Gesellschaft, in der Frauen für die Bewirtschaftung der Insel verantwortlich waren. Die Männer fuhren zur See, erst auf kleineren Booten im Norden, später heuerten sie dann auf Frachtschiffen an, die um die Welt fuhren, und waren möglicherweise mehrere Jahre nicht zuhause. Daher mussten die Frauen alles Praktische übernehmen, sich um die Landwirtschaft und die Familie kümmern und die Häuser neu decken.

Hier erwies sich Seegras als ausgezeichnetes Material, was auf und um Læsø zudem reichlich vorhanden war. Sobald es geerntet und getrocknet war, konnte es zum Decken der Dächer verwendet werden. Anscheinend haben die Frauen eine neue Methode zum Befestigen des Seegrases erfunden, indem sie es wie gesponnene Wolle zwirnten, damit es stabil wurde und gebunden werden konnte. Das war entscheidend dafür, dass die Dächer über Jahrhunderte hielten.

– Wenn die Männer nach Hause kamen, beteiligten sie sich nicht an den üblichen Alltagsarbeiten, sondern gingen eigenen Aufgaben nach. So stiegen sie beispielsweise morgens auf das Dach, um zu sehen, ob mit einer Strandung zu rechnen war, erzählt sie.

Früher lebten die Menschen auf Læsø von Strandungen. Keine schöne Arbeit, die jedoch Geld einbrachte. Die gestrandeten Wracks konnten als Baumaterial verwendet werden, und für geborgene Schiffsladung gab es einen anteiligen Bergelohn.

– Und wenn man Besatzungsmitglieder rettete, gab man ihnen Unterkunft und Verpflegung, bis sie weiter mussten. Das brachte auch Geld, und vielleicht auch etwas neue DNA für Læsøs Bevölkerung, sagt Lillian Kristensen.

Vor ein paar hundert Jahren gab es auf Læsø 330 Seetangdächer, heute sind es nur noch etwas mehr als 30. Das Seegras wurde von einem Pilz befallen, sodass guter Rat teuer war. Als die Dächer langsam undicht wurden, begann man um 1900 damit, sie durch Pfannen, Stroh, Ziegel und andere moderne Baumaterialien zu ersetzen.

Die Häuser, die kein neues modernes Dach bekamen, waren häufig die, deren Eigentümer sich dies nicht leisten konnten und daher ihr altes Tangdach behielten.

– Übrig blieben die ärmsten und heruntergekommensten Häuser.  Einige der Häuser, mit denen wir zu tun hatten, waren in einem so schlechten Zustand, dass die meisten Menschen denken würden, da sei nichts zu machen. Aber das ist es sehr wohl. Wir nehmen sie auseinander, bauen sie wieder zusammen und geben ihnen ein neues Dach. Die Häuser sind entweder denkmalgeschützt oder schützenswert, sodass man dabei behutsam und mit Respekt vorgehen muss.

Es wird nicht nur das Seetangdach erneuert. Das gesamte Haus wird restauriert, einschließlich der Dachkonstruktion, damit sie das neue Tangdach tragen kann.

– Ansonsten gäbe es nichts, worauf das Dach liegen kann. Wir verstärken die Dachkonstruktion allerdings oft im Vergleich zu den Konstruktionen von früher, die aus Treibholz gefertigt wurden. Schließlich muss sie das schwere Tangdach wieder mehrere hundert Jahre lang halten, erzählt Lillian Kristensen.

Ein Besuch auf Læsø bietet reichlich Gelegenheit, die besonderen Tanghäuser aus der Nähe zu erleben.

Es gibt eine kostenlose Karte der beiden Tanghausrouten, die den Standort der Häuser zeigen, und eine App, die man downloaden kann, um mehr zu erfahren. Einer der besuchenswertesten Orte ist Østerby. Hier stehen 15 Seetanghäuser, die einen guten Eindruck davon vermitteln, wie es in der Gegend aussah, als diese Dachart auf Læsø noch vorherrschte.

Foto: Kjetil Løite/Destination NORD

 

Hier finden Sie ein Sommerhaus auf Læsø